Warum manche Pferde denken, sie seien in China
Heute möchte ich Euch mal eine Geschichte erzählen, die ich in China erlebt habe. Ich war im Jahr 2006 bei einer Summer Business School in Peking und Shanghai und davor bin durch Westchina gereist – bisserl Kultur, und Land und Leute richtig kennen lernen wollte ich schließlich auch! Westchina war damals touristisch GAR NICHT erschlossen. Aber ich wollte da unbedingt hin – fernab von jedem Tourismus (und gefühlt teilweise auch von jeglicher „Zivilisation“). Gesagt, getan: So fuhr ich unter anderem auch nach Datong mit dem Zug. Dort habe ich in dem einzigen Hotel übernachtet, das es damals dort gab. Niemand hat dort Englisch gesprochen und mit niemand meine ich wirklich niemand.
Das war auch ein kleines Problem. Denn ich musste nach meinem Aufenthalt den Fernstreckenbus finden, der mich dann wieder in Richtung Peking brachte. Aber was tun, wenn Dich keiner versteht? Ich habe versucht mich mit Händen und Füßen zu verständigen. Habe Busgeräusche imitiert und dafür nur erstaunte Blicke geerntet (hätte es eine Klapsmühle dort gegeben, wäre ich wahrscheinlich dort gelandet). Na ja, nachdem das rein sprachlich nicht so funktioniert hat, habe ich es dann mit Aufschreiben versucht. Ich bin also zur Bank gegangen, weil ich dachte, da sind sicherlich sehr gebildete Leute dort. Aber die haben irgendwie alle nur geschlafen (direkt am Schalter! hinter der Glasvorrichtung). 😄 Also bei der Bank hat mir auch keiner weiterhelfen können. Dann hab ich es also wieder mit „normalen Passanten“ probiert und sogar die chinesischen Schriftzeichen auf ein Blatt Papier aufgeschrieben. Problem war nur: Ich habe keinen gefunden, der das lesen konnte. In Westchina waren damals die meisten Menschen Analphabeten. Nach ca. 5 Stunden war ich dann schon irgendwie verzweifelt, weil mich niemand verstand – egal was ich versuchte…
Es hat schlussendlich den gesamten Tag gedauert, bis ich innerhalb der damals 2 Millionen Einwohner großen Stadt den Platz gefunden haben, wo der Fernstreckenbus losfuhr. EINEN GANZEN TAG. Und ich kann mich sehr gut an meine Verzweiflung und Ratlosigkeit erinnern. Ich habe auch nicht verstanden, warum keiner meine Zeichensprache und die Busgeräusche, die ich imitierte, verstand. Niemand. Keiner! Ich hatte dann kurz überlegt, was wäre, wenn ich jetzt ernsthaft krank oder verunfallt wäre und könnte keinem mitteilen, was ich habe und wie ich mich fühlte… „Gruselige Vorstellung“, dachte ich…
Und genau diese Geschichte ist mir gestern eingefallen. Als mir jemand von einem alten Isländer erzählt hatte, der beim Reiten „nicht vorwärts gehen wolle und sehr faul war“. Er hat massive Zahnprobleme, wurde mir im Nebensatz noch erzählt. Da fiel mir die Geschichte mit China ein. Ich kenne dieses Pferd nicht. Aber rein intuitiv sagte ich sofort: „Ich glaube, es geht ihm nicht gut und deshalb geht er beim Reiten nicht vorwärts.“ Manchmal gibt es Dinge, die wir einfach „aus dem Bauch heraus“, aus unserer tiefsten Intuition wissen. Und es wäre sicherlich oftmals gut, genau auf diese Intuition zu hören! In jedem Fall dachte ich bei mir: „Der arme Isibub versucht wahrscheinlich schon seit langem zu sagen, dass ihm die Zähne weh tun und er sich unfit fühlt und wird trotzdem geritten. Vielleicht hat er massive Entzündungen im Maul und sein gesamte Stoffwechsel ist kontinuierlich überlastet und niemand merkt es.“ Ich dachte bei mir: „Wahrscheinlich ist auch schon ganz verzweifelt, weil ihn keiner versteht –genauso wie mich damals in China keiner verstanden hat. Keiner hat nur im Ansatz gecheckt, was ich wollte, obwohl ich wirklich ALLES versucht hatte, um meine Situation zu erklären. WIRKLICH ALLES. Es ist ein furchtbares, sehr beängstigendes und irgendwann auch sehr frustrierendes Gefühl, wenn Du ständig versuchst, etwas Wichtiges zu sagen und keiner versteht Dich. Und weißt Du was? Ich kann schwören, dass es ganz vielen Pferden genau so geht! „Das Pferd ist so faul oder unmotiviert. Der ist unerzogen!“ (beißt nämlich, wenn man gurtet)! Oder aber: „Die Stute ist aber zickig!“
Das sind Dinge, die ich regelmäßig in Reitställen höre… Und ich denke, in den meisten Fällen haben Pferde über lange Zeit versucht, den Menschen etwas zu sagen. Was sie brauchen. Was ihnen fehlt. Wie sie sich fühlen oder was ihnen ggf. auch unangenehm ist (z.B. ein drückender Sattel oder schmerzende Hufe, beides häufige Ursachen von Gurtzwang). Kannst Du Dir vorstellen, wie frustrierend und auch beängstigend das sein muss? Ich schon! Und zwar GANZ KLAR und deutlich. Denn ich habe selbst schon diese Erfahrung gemacht, wie man sich fühlt, wenn dich niemand, absolut niemand, versteht…
Vielleicht haben ja meine Zeilen dazu geführt, dass jemand von Euch beim nächsten Mal, wenn ggf. sogar sein Trainer sein Pferd als „faul oder unmotiviert“ bezeichnet, noch genauer hinhört oder hinspürt, warum das Pferd so ist, wie es ist. Denn meiner Erfahrung nach gibt es für dieses Verhalten IMMER Gründe! Und die liegen eigentlich nie daran, dass das Pferd wirklich faul ist, sondern, dass irgendetwas „nicht passt“….
Ich freue mich, wenn Du diesen Beitrag teilst. Weil wenn wir nur EINEN Reiter zum Nachdenken bewegen können, das nächste Mal in sein Pferd wirklich reinzuhorchen, bevor er zu „harten Mitteln“ wie mehr Gerteneinsatz oder ein schärferes Gebiss greift, dann hat dieser Blogbeitrag schon etwas bewegt… für ein Pferd… oder vielleicht sogar für zwei oder wenn es ein Trainer war, ggf. sogar für viele! Im Endeffekt ist es auch egal, ob es ein oder mehr Pferde waren. Denn jedes Pferd, das da draußen unverstanden falsch behandelt wird, ist ein Pferd zu viel…
In diesem Sinne einen guten Rutsch schon mal in ein hoffentlich frohes, harmonisches und gesundes Neues Jahr wünsche ich Dir und Deinen lieben Vierbeinern!
Deine Sandra
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