Über die Reiterhilfen sind Berge von Büchern geschrieben worden. Und doch werden die Signale vom Reiter an sein Pferd oft falsch, unklar oder unfair eingesetzt. Aber was sind Hilfen überhaupt? Laut Wikipedia werden Hilfen „als die Einwirkungen des Reiters auf sein Pferd“ bezeichnet, und weiter: „Man unterscheidet dabei zwischen Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen. … Von den Hilfen unterscheidet man die Hilfsmittel: Stimme, Gerte und Sporen können zur Unterstützung der Schenkelhilfen eingesetzt werden.“ So weit die graue Theorie. Jetzt geht’s aber ans Eingemachte, nämlich an meine Praxistipps für bessere und pferdegerechtere Hilfengebung beim Reiten! Viel Spaß damit 🙂

 

1. Konsequenz und richtige Dosierung in der Hilfengebung

Wir alle wünschen uns Pferde, die bereits auf die feinsten Hilfen reagieren: Einem „Hauch von nichts“ und mit scheinbar unsichtbaren Signalen mit uns durch die Reitbahn schweben. So die Wunschvorstellung. So weit, so gut. Die Realität sieht aber oft leider anders aus: Nicht selten sieht man aufgerissene Pferdemäuler, ständig klopfende Reiterschenkel, auf die trotzdem (oder gerade deshalb) keine Pferdereaktion kommt,  und stochernde Sporen, die im schlimmsten Fall sogar zu haarlosen (oder sogar offenen) Rumpfpartien beim Pferd führen. Unschön ist das, und von feiner Hilfengebung, gelebtem Tierschutz und totaler Harmonie mit dem Pferd weit entfernt. Aber wie bildet man ein wirklich feines Pferd aus?

Mit „ansteigender“ Hilfengebung, oder wie Jean François Pignon sagen würde: „crescendo“ – auch bekannt aus der Musik, „züchtest“ Du ein feines, williges und motiviertes Pferd. Einer meiner alten Reitlehrer hat immer zu mir gesagt: „Geben Sie die Hilfe so, dass Sie gar nicht erwarten, dass Ihr Pferd reagiert„. Und das mache ich… und bin immer wieder erstaunt, dass die Pferde bereits auf DAS reagieren! Wenn man aber immer gleich eine deutliche oder mittelstarke Hilfe gibt, wird man nie ein Pferd reiten, das auf „unsichtbare Hilfen“ reagiert. Weil es gar nicht die Chance hatte, auf das feinst mögliche Signal zu antworten.

Das heißt also im Klartext, wenn Du ein Pferd anreiten möchtest, verwende den Schenkel ganz, ganz leicht, sodass man es nicht sehen kann. Wenn Dein Pferd dann nicht reagiert, steigere minimal die Hilfengebung. Wenn dann Dein Pferd nicht reagieren sollte, versuch es mit nur geringfügig mehr Intensität. Bei der dritten Hilfengebung steigerst Du jetzt deutlicher die Stärke der Hilfe, und wenn dann nichts passiert, macht es „Bumm“. Also Du unterstützt zB den Schenkel mit der Gerte, oder verwendest die Gerte nach vorsichtigem Gerteneinsatz dann einmal wirklich deutlich. Wenn dann das Pferd reagiert, lobst Du es SOFORT und lässt sofort von der Hilfe ab. Das bringt mich auch schon zum nächsten Punkt….

 

2. Sofortiges Ablassen der Hilfen bei richtiger Reaktion des Pferdes

Dies ist auch ganz wichtiger (klassischer) Grundsatz, der leider sehr oft vernachlässigt wird in der heutigen Reitszene. Wenn ein Pferd RICHTIG reagiert, muss man es sofort loben bzw. vor allem auch die Hilfe KOMPLETT aussetzen lassen. Das heißt, wenn Dein Pferd auf einen Schenkeldruck reagiert hat, quetscht Du nicht weiter mit dem Bein, sondern lässt es komplett locker hängen (es rahmt aber immer noch das Pferd am Rumpf ein). Das hat man früher „atmenden Schenkel“ genannt.

Das Bein ist also da, wenn es gebraucht wird, hat aber keine ständige, negative Anspannung (was ja einer „Dauerhilfe“ gleich kommt). Nur, wenn ein Pferd merkt, dass es „Ruhe“  bekommt nach dem erfolgreichen Annehmen einer Hilfe, dann wird es langfristig gern Hilfen annehmen. Denn für ein Pferd bedeutet das Entspannung! Und als Fluchttiere LIEBEN Pferde Entspannung, Ruhe und Sicherheit. Außerdem lernen Pferde am besten in Pausen. Hierbei können sie darüber nachdenken, was sie richtig gemacht haben, und dieses Verhalten abspeichern. Ständiges Geklopfe mit den Schenkeln und ein ständiger Zug in seinem Maul gefällt mit Garantie KEINEM Pferd!

Ablassen Hilfen Sandra Fencl

Pferde lernen in Pausen am besten, und dazu gehört auch das „Ablassen“ von Hilfen.
Foto: Alisa Konrad

 

3. Gib keine widersprüchlichen Signale

Auch das sehe ich leider sehr, sehr häufig: Ein Reiter quält sich mit seinem Pferd ab, dass es vorwärts geht… Irgendwann reist ihm der Geduldsfaden und er haut mal ordentlich mit der Gerte drauf. Das Pferd erschrickt und rennt oder springt sogar vorwärts. Der (noch unausbalancierte) Reiter rechnet nicht mit der prompten Reaktion seines Pferdes und hält sich am Zügel fest. Das Pferd erhält als „Belohnung“ für eine gute Vorwärtsreaktion einen Ruck im Pferdemaul. Tolle Sache: Das Pferd lernt hierbei: „Wenn ich reagiere, werde ich im Maul gezogen„. Keine schöne Belohnung… Und langfristig gesehen sicherlich nicht sehr motivierend…

Ich möchte noch ein anderes Beispiel bringen, dieses sehe ich nämlich sehr, sehr oft in Bodenarbeits- und Handarbeitsseminaren. Das Pferd wurde angehalten und steht brav neben seinem Trainer. Dann fasst der Trainer die Idee gleich anzugehen, OHNE es zu merken, bewegt er den Oberkörper leicht nach vorne. Das willige Pferd reagiert sofort und geht los, wird aber dann sofort vom Zweibeiner ausgebremst weil es „ungefragt“ angegangen ist (was ja nicht stimmt!). Diese Problematik sehe ich echt sehr, sehr häufig und solche Situationen sind äußerst frustrierend für Pferde. Unsere Vierbeiner versuchen uns ständig zu lesen, und unsere Körpersprache zu interpretieren. Wenn sie für prompte Reaktion auf das leichte Vorgehen des Oberkörpers des Zweibeiners reagieren, (die ja richtig und gut gemeint war), geschimpft werden, ist das sehr demotivierend und unverständlich für sie….

Sandra Fenzl Blog

Reiten bedeutet ständiges Weiterlernen. Wer aufgehört hat, an sich selbst zu arbeiten, hat aufgehört, besser zu werden. Foto: Alisa Konrad

 

4. Emotionslose, sachliche Hilfengebung

Ein weiterer, wichtiger Punkt, um Hilfengebung pferdegerecht und pferdeverständlich zu machen, ist die emotionslose Hilfengebung. Kein Pferd versteht, warum manche Reiter gleich einen kleinen Wutausbruch bekommen, wenn sie ihrem Pferd einmal einen (ggf. deutlicheren) Impuls mit dem Bein oder einen Klaps mit der Gerte geben. Pferde sind extrem emotionslos, wenn sie ihre Herdenkollegen zurecht weisen. Wir Menschen tun uns sehr schwer, schnell und treffsicher beispielsweise mit der Gerte zu agieren, dabei aber innerlich völlig ruhig und gelassen zu bleiben und auch die eigene Körperspannung nicht (negativ) verändern.

Probier es mal an einem Zaun aus. Stell Dir (mit viel Phantasie) vor, der Zaun ist Dein Pferd, und Dein Pferd hat etwas gemacht, was Dich extrem nervt – zB gerade den Kopf zum Grasen abgesenkt. „Korrigiere“ jetzt Dein „Pferd“ (also den Zaun) mit einem deutlichen Klaps mit der Gerte. Überprüfe, ob Du dies ausführen kannst, ohne die Muskeln fest zu machen, die Zähne zusammen zu beißen, die Atmung von einer entspannten Bauchatmung in eine oberflächige Brustatmung zu verändern… Geht? Sehr gut! Geht nicht? Dann bitte weiterüben….

Ich denke, dies ist eine der schwierigsten Anforderungen an JEDEN Reiter – völlig sachlich und emotionslos sein Pferd zu korrigieren, und das ggf. 150 Mal in der selben Einheit, immer in der selben Ecke, bei der das Pferd nach innen driftet … Nur, wenn wir sachlich reiten, wird unser Pferd den entsprechenden Respekt entgegenbringen und dementsprechend auch fein, aufmerksam und respektvoll reagieren. Denn absolute Selbstbeherrschung ist eine wichtige Eigenschaft von echten Führungspersönlichkeiten – und das gilt für Pferde und Menschen gleichermaßen!

 

5. Regelmäßiger Abgleich von innerem und äußerem Bild von Sitz und Einwirkung

Ein weiterer, wichtiger Punkt zum Thema pferdegerechte Hilfengebung ist der regelmäßige Abgleich von „Soll- und Istzustand“ der eigenen Hilfengebung. Hiermit ist gemeint, dass man sich regelmäßig überprüfen sollte, ob man tatsächlich das Bein locker lässt, die Zügeln fein verwendet und die Gewichtshilfe korrekt zB beim Abfussen des Hinterbeines einsetzt.

Reiten Sandra Fenzl

Der regelmäßige Abgleich von innerem und äußerem Bild ist auch für routinierte Reiter sehr wichtig! Foto: Alisa Konrad

Dazu ein Beispiel: Die meisten Rechtshänder belasten den rechten Gesäßhöcker etwas mehr als den linken. Die meisten Pferde wiederum als linkshohle Pferde fallen tendenziell eher auf die rechte Schulter UND belasten somit auch die rechte Körperhälfte mehr. Rechtshändige Reiter und links hohle Pferde verstärken also ihre Schiefe gegenseitig.

Oft hat man als Reiter den Eindruck (gerade auch in Seitengängen!) man sitzt total zentriert, tatsächlich hängt aber der Oberkörper auf eine Seite (gern rechts) bzw. man knickt (ungemerkt) in der Hüfte ein. Nachdem Pferde immer ihrem (Gleich-)Gewicht hinterherlaufen, wird das Pferd dementsprechend in diesem Beispiel nach rechts drücken. Der Reiter „ärgert“ sich dann gern, weil das Pferd ständig auf der rechten Hand nach innen schiebt. Aber eigentlich reagiert es nur auf eine ungewollte Hilfengebung seines Reiters…

Um dies zu vermeiden, kann

a) regelmäßiger guter Reitunterricht

b) das Reiten von Lektionen am Boden (Stichwort Bodengalopp oder Schulterherein selber laufen)

c) das Reiten von Fremdpferden

d) das Reiten mit Spiegeln

e) die regelmäßige Aufnahme von Fotos und/oder Videos

f) Körpertraining wie Yoga, Pilates, Alexandertechnik etc.

helfen. Mehr zu diesem so wichtigen Thema der Schiefe vom Pferd (und Reiter) in meinem nächsten Schiefen-LIVE-Webinar mit Videoaufzeichnung: https://www.edudip.com/w/235160 (Anmeldemöglichkeit bis 23. März 2017).

 

6. Betrachte „Hilfen“ als Dialog!

Ein Pferd richtig zu reiten, heißt nicht nur, die richtigen Hilfen zur richtigen Zeit in der richtigen Dosierung zu geben, sondern in erster Linie auch zuzuhören… Auf das, was das Pferd gerade braucht, um sich zu entspannen. Auf das, was das Pferd gerade braucht, um in eine bessere innere wie äußere Balance zu kommen… Reiten sollte immer im Dialog mit dem Pferd stattfinden und hat ganz viel mit Empathie zu tun. Reite immer mit Freude Dein Pferd! Mit einer positiven Grundeinstellung und einem offenen Ohr und offenen Herzen wird vieles auf einmal wie von selbst gehen!

Sandra Fencl Sitzkurse

Reiten bedeutet „Zwiegespräch von zwei Seelen“…
Foto: Alisa Konrad

 

7. Gib feine Hilfen „aus der Mitte“

So, zum Schluss noch ein „Esoterikpunkt“, hihi. Mein Leben lang beschäftige ich mich mit Pferden. Mein Leben lang hab ich gebraucht, um zu verstehen, dass Reiten so viel mehr ist als einfach nur „technische Hilfen zu geben“. Reiten ist immer (und ggf. sogar nur) „Arbeit an uns selbst“. Mein Lusitano Rufino hat mir diese Erkenntnis so deutlich gemacht, dass ich sie ENDLICH verstehen konnte (und musste). Was ich Dir am Schluss von diesem Blogbeitrag noch „mit auf dem Weg geben möchte“, ist: Versuche, zuerst „bei dir selbst anzukommen“, bevor Du von Deinem Pferd perfekte Hilfenreaktion erwartest. Was ich damit meine?

Wenn Du gestresst  und ggf. sogar zu spät von der Arbeit kommst, Du dann wie ein kleiner Maniac noch in den Stall hudelst, und Dich schnell auf Dein Pferd setzt und „noch kurz ein paar Runden zu reiten“, dann kann ich Dir im Vorhinein sagen: „Das wird nix“. Wenn wir Menschen nicht in unserer Mitte sind, uns nicht körperlich und geistig „spüren“, noch immer 1.000 Todo-Listen in unserem Kopf rattern und wir schon an unseren morgigen Besprechungstermin denken, dann wird das Reiten „technisch“ und niemals wirklich „harmonisch“ ausfallen. Wenn Du jemals das Gefühl hattest, eins mit einem Pferd zu sein, IN Deinem Pferd zu sitzen und nicht AUF Deinem Pferd, sondern wie ein Zentaur als völlige Einheit mit Deinem Pferd zu tanzen, dann weißt Du, was ich unter harmonischem Reiten verstehe. Und dieses Gefühl wirst Du nur erreichen, wenn Du eine echte „Stille“ in Deinem Kopf hast und ein offenes Herz für Dein Pferd…

Sandra Fencl Wege losgelassener Sitz

Innere Stille ist essentiell für gutes Pferdetraining.
Foto: Alisa Konrad

Wenn Du das Gefühl hast, dass Du diese Stille und Offenheit nicht hast und an diesem Tag auch nicht mehr erreichen kannst, dann hab den Mut auch mal NICHT zu reiten! Oft ist es besser, an solchen Tagen nur eine Runde spazieren zu gehen oder Dein Pferd alternativ mit Zirkuslektionen oder Bodenarbeit zu „bespaßen“ oder vielleicht dem Pferd sogar komplett einen Ruhetag zu gönnen. Denn besser ist KEIN Training, als frustrierendes, negatives Training. Das kannst Du mir glauben…

In diesem Sinne hoffe ich, dass ich Dir ein paar Gedankenanstöße zum Thema Hilfengebung geben konnte und freue mich über Kommentare und etwaige Likes und Shares auf meiner Facebookseite: www.facebook.com/sandra.fencl

Bis bald!
Deine Sandra

PS: Hier geht´s noch zum Webinar-Video zum ganzheitlichen Verständnis und Korrektur der natürlichen Schiefe des Pferdes. Ein Thema, das mir ganz besonders am Herzen liegt:

https://www.edudip.com/w/238762

Alle Webinare im Überblick findest du hier:

https://www.edudip.com/academy/sandra.fencl2

 

Hör Dir auch gleich die 11. Episode meines Podcasts „Pferdewissen – ganzheitlich & inspirierend“ an, in welcher ich Dir wichtiges Hintergrundwissen zum Thema „Leichttraben“ bzw. „Trab aussitzen“ gebe.